image: A mechanistic summary of anti-tau therapeutic strategies. Reduction of tau expression. The use of antisense oligonucleotides (ASOs) and small molecules can reduce tau production.
Credit: Peng Lei
CHENGDU, Sichuan, CHINA, 16. Dezember 2025 -- Eine heute in Genomic Psychiatry veröffentlichte eingeladene Thought Leaders Übersichtsarbeit von Dr. Peng Lei und Kollegen präsentiert eine weitreichende Synthese der Tau-Protein-Forschung, die unser Verständnis der dualen Identität dieses Moleküls grundlegend neu rahmt. Was aus ihrer Analyse hervorgeht, ist das Porträt eines Proteins, das weitaus vielseitiger ist als seine ursprüngliche Charakterisierung als bloßer Mikrotubuli-Stabilisator nahelegte, eines Proteins, das an Prozessen von der Eisenausschleusung bis zur Insulinsekretion beteiligt ist, während es gleichzeitig als zentraler Akteur bei einigen der verheerendsten neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen fungiert, die die Menschheit heimsuchen.
Das Protein, das sich einfacher Klassifizierung entzog
In den 1970er Jahren als Kopurifikationspartner von Tubulin entdeckt, verbrachte Tau seine frühen Jahrzehnte in relativer Unbekanntheit. Die 1980er Jahre änderten alles. Forscher identifizierten Tau als Kernkomponente der neurofibrillären Bündel, jener verdrillten Proteinaggregate, die die verwüsteten Landschaften von Alzheimer-Gehirnen kennzeichnen. Doch diese pathologische Berühmtheit verdeckte etwas ebenso Wichtiges: Tau erfüllt essentielle Funktionen, ohne die Neuronen nicht überleben können.
Die Übersichtsarbeit zeichnet nach, wie sich das wissenschaftliche Verständnis von der Betrachtung von Tau als passivem Strukturelement hin zur Anerkennung als aktivem Teilnehmer an der neuronalen Physiologie entwickelte. «Tau, das vorwiegend in Neuronen exprimiert wird, spielt eine entscheidende Rolle bei der Assemblierung von Mikrotubuli und der Aufrechterhaltung des Mikrotubuli-Netzwerks», schreiben die Autoren, doch dies stellt lediglich den Anfang seiner Aufgaben dar. Das Protein reguliert den axonalen Transport, erhält die Integrität des Axon-Initialsegments aufrecht und ist an Mechanismen synaptischer Plastizität beteiligt, die Lernen und Gedächtnis zugrunde liegen.
Eisen, Insulin und unerwartete Verbindungen
Die vielleicht auffälligste Erkenntnis dieser Synthese betrifft die Beteiligung von Tau am Eisenstoffwechsel. Die eigene frühere Forschung von Dr. Lei zeigte, dass Tau den Transport des Amyloid-Vorläuferproteins zu Zelloberflächen fördert, Eisentransporter stabilisiert und den Eisenexport aus Neuronen erleichtert. Wenn die Tau-Funktion versagt, akkumuliert Eisen. Zwölf Monate alte Mäuse ohne Tau zeigten Eisenablagerungen in Neuronen, Verlust dopaminerger Zellen in der Substantia nigra sowie schwere kognitive und motorische Beeinträchtigungen.
Warum sollte ein Mikrotubuli-assoziiertes Protein die Homöostase von Metallionen regulieren? Die Autoren der Übersichtsarbeit legen nahe, dass diese Verbindung etwas Tiefgreifendes über neuronale Vulnerabilität offenbart. Eisenakkumulation tritt genau in jenen Hirnregionen auf, in denen die Spiegel löslichen Taus absinken, einschließlich der Substantia nigra bei der Parkinson-Krankheit und dem Kortex bei der Alzheimer-Krankheit. Könnte der Tau-Verlust ein vorgeschaltetes Ereignis darstellen, das Neuronen anfällig für oxidativen Schaden macht?
Die Insulinverbindung erweist sich als ebenso unerwartet. Tau-Defizienz verstärkt die Insulinsekretion in Pankreaszellen und normalisiert Glukosespiegel in diabetischen Mausmodellen. Das Protein scheint Mikrotubuli-regulierte Mechanismen der Insulinfreisetzung zu unterdrücken. Dieser Befund hat Implikationen, die weit über die Neurowissenschaften hinausreichen, da Typ-2-Diabetes einen signifikanten Risikofaktor für Demenz darstellt.
Die Architektur der Dysfunktion
Wie verwandelt sich ein für die neuronale Funktion essentielles Protein in einen Zerstörungsagenten? Die Übersichtsarbeit liefert eine umfassende Taxonomie der posttranslationalen Modifikationen von Tau, jener chemischen Anhänge, die das Proteinverhalten regulieren. Forscher haben 95 Modifikationen an 88 Aminosäureresten in pathologischem Tau identifiziert, darunter Phosphorylierung, Glykosylierung, Acetylierung, Ubiquitinierung, Methylierung, SUMOylierung und Trunkierung.
Phosphorylierung dominiert die pathologische Landschaft. Gesunde Gehirne halten die Tau-Phosphorylierung bei etwa 2-3 Mol Phosphat pro Mol Protein aufrecht. Bei der Alzheimer-Krankheit steigt dieses Verhältnis auf 5-9 Mol an. Diese ungefähr dreifache Erhöhung stört die Beziehung von Tau zu Mikrotubuli und setzt es ins Zytoplasma frei, wo die Aggregation beginnt.
Jedoch fördert nicht jede Phosphorylierung Pathologie. Phosphorylierung an bestimmten Stellen hemmt tatsächlich die Aggregation, während Modifikation an anderen sie beschleunigt. Die Komplexität legt nahe, dass therapeutische Strategien, die auf Phosphorylierung abzielen, chirurgische Präzision statt pauschaler Unterdrückung erreichen müssen.
Die psychiatrische Dimension
Die provokativsten Abschnitte der Übersichtsarbeit untersuchen die entstehenden Verbindungen von Tau zu psychiatrischen Störungen. Bei Patienten mit früh einsetzender Schizophrenie waren die Plasma-Gesamttau-Spiegel signifikant niedriger als bei Kontrollen. Patienten mit im Erwachsenenalter einsetzender Schizophrenie zeigten verminderte Serumspiegel sowohl von Gesamt-Tau als auch von phosphoryliertem Tau. Was erklärt diese Reduktionen? Spiegeln sie veränderte Tau-Produktion, erhöhte Clearance oder kompartimentelle Umverteilung wider?
Delir präsentiert eine weitere faszinierende Verbindung. Präoperatives phosphoryliertes Plasma-Tau an Position 217 korreliert mit dem Risiko für postoperatives Delir. Anästhesie und Chirurgie erhöhen akut p-tau217 im Blut, das die Blut-Hirn-Schranke überwinden und Delir-ähnliches Verhalten induzieren kann. Dieser Befund hat unmittelbare klinische Implikationen für die chirurgische Planung bei vulnerablen Populationen.
Die neuropsychiatrischen Symptome der Alzheimer-Krankheit, einschließlich Apathie, Depression und Angst, korrelieren mit Tau-Pathologiemustern. Patienten mit psychotischen Symptomen zeigen höhere phosphorylierte Tau-Spiegel in frontalen Kortexregionen. Tau-PET-Bildgebung zeigt stärkere Signale in der Amygdala und den temporalen Kortizes von Patienten, die Wahnvorstellungen oder Halluzinationen erleben. Produziert Tau-Pathologie in limbischen Schaltkreisen direkt psychiatrische Symptome, oder teilen beide Phänomene vorgelagerte Ursachen?
Biomarker, die aus Komplexität entstehen
Die Synthese widmet substantielle Aufmerksamkeit Tau als Krankheitsbiomarker und zeichnet die Entwicklung von Liquor-Assays in den 1990er Jahren bis zu zeitgenössischen blutbasierten Tests nach. Plasma-p-tau217 kann Alzheimer-Krankheit von frontotemporaler Demenz mit Area-under-the-curve-Werten über 0,9 unterscheiden. Der Test zeigt vergleichbare Leistung wie Liquor-Messungen, während nur eine Blutentnahme erforderlich ist.
Verschiedene phosphorylierte Spezies treten in verschiedenen Krankheitsstadien auf. P-tau217-Spiegel beginnen zu steigen, wenn sich Amyloid-Plaques bilden, während p-tau205 ansteigt, wenn neuronale Dysfunktion einsetzt. Diese zeitliche Trennung bietet Möglichkeiten zur Stadienbestimmung des Krankheitsverlaufs und zur zeitlichen Abstimmung von Interventionen.
Die Mikrotubuli-bindende Region von Tau hat sich als weitere Biomarkerquelle herausgestellt. Liquor-MTBR-tau243 reflektiert spezifisch Tau-Bündel-Pathologie und nicht frühere pathologische Veränderungen. Plasma-MTBR-tau243 korreliert stark mit Tau-PET-Ergebnissen und übertrifft andere Plasma-Tau-Biomarker bei der Detektion der Bündellast.
Therapeutische Grenzen und Frustrationen
Trotz beeindruckender Fortschritte beim Verständnis der Tau-Biologie weisen die Autoren der Übersichtsarbeit auf eine ernüchternde Realität hin: Kein auf Tau abzielendes Medikament hat signifikante klinische Wirksamkeit gezeigt. Das Antisense-Oligonukleotid BIIB080 reduzierte Tau-Spiegel und zeigte beherrschbare unerwünschte Wirkungen in Phase-I-Studien bei leichter Alzheimer-Krankheit und stellt vielleicht den derzeit vielversprechendsten Ansatz dar. Dennoch bleiben die Herausforderungen gewaltig.
Kinaseinhibitoren, die auf Tau-Phosphorylierung abzielen, haben gemischte Ergebnisse produziert. Lithium, der bekannte GSK3-Inhibitor, konnte in Kurzzeitstudien die Tau-Hyperphosphorylierung nicht reduzieren, zeigte aber über zwei Jahre Vorteile bei Patienten mit leichter kognitiver Beeinträchtigung. Tideglusib verbesserte kognitive Schäden bei einigen Alzheimer-Patienten, produzierte aber keine klinische Verbesserung bei progressiver supranukleärer Blickparese.
Immuntherapeutische Ansätze haben ebenfalls Schwierigkeiten. Multiple Tau-Antikörper haben klinische Studien abgeschlossen, ohne Wirksamkeit bei früher Alzheimer-Krankheit zu demonstrieren. Die Gründe bleiben unklar. Versagen Antikörper dabei, intrazelluläres Tau zu erreichen? Ist extrazelluläres Tau das falsche Ziel? Wurden Patienten in zu fortgeschrittenen Krankheitsstadien für einen Nutzen rekrutiert?
Die Synthese als Wegweiser
Welche Muster emergieren aus vier Jahrzehnten akkumulierter Forschung? Die Autoren der Übersichtsarbeit identifizieren mehrere kritische Lücken, die Aufmerksamkeit erfordern. Die genauen Ursprünge blutbasierter phosphorylierter Tau-Spezies bleiben unvollständig verstanden. Die Mechanismen, durch die sich Tau-Pathologie zwischen Neuronen ausbreitet, erfordern weitere Aufklärung. Am fundamentalsten bleibt umstritten, ob Tau-Pathologie in verschiedenen Erkrankungen als primärer Treiber oder sekundäre Konsequenz fungiert.
Die Synthese legt nahe, dass Tau einen Konvergenzpunkt darstellt, an dem sich multiple pathologische Prozesse überschneiden. Seine Interaktionen mit Amyloid-beta, Alpha-Synuclein und TDP-43 erzeugen komplexe pathologische Kaskaden, die Einzelzieltherapien möglicherweise unzureichend adressieren. Zukünftige Strategien könnten Kombinationsansätze erfordern, die multiple Knotenpunkte gleichzeitig angreifen.
Diese eingeladene Übersichtsarbeit repräsentiert eine kritische Synthese des aktuellen Wissens über Neurowissenschaften, Psychiatrie und translationale Medizin hinweg und bietet Forschern, Klinikern und Entscheidungsträgern einen umfassenden Rahmen zum Verständnis der Tau-Biologie und -Pathologie. Durch systematische Analyse und Integration von Befunden aus über 300 Studien über mehr als vier Jahrzehnte bieten die Autoren sowohl eine historische Perspektive auf die Entwicklung des Feldes als auch einen Wegweiser für zukünftige Untersuchungen. Die Synthese enthüllt Muster, die in Einzelstudien unsichtbar waren, versöhnt scheinbare Widersprüche in der Literatur und hebt die vielversprechendsten Wege zur Weiterentwicklung des Feldes hervor. Solche umfassenden Übersichtsarbeiten sind essentiell, um das akkumulierte Gewicht der Evidenz in handlungsrelevante Erkenntnisse zu übersetzen, die Praxis und Politik verbessern können. Die angewandte rigorose Methodologie, einschließlich systematischer Abdeckung physiologischer Funktionen, pathologischer Mechanismen, Biomarkerentwicklung und therapeutischer Ansätze, gewährleistet die Zuverlässigkeit und Reproduzierbarkeit der Synthese. Diese Arbeit exemplifiziert, wie systematische Analyse existierender Literatur neues Verständnis generieren und die Allokation von Forschungsressourcen auf die kritischsten unbeantworteten Fragen lenken kann.
Die Thought Leaders Eingeladene Übersichtsarbeit in Genomic Psychiatry mit dem Titel «Tau protein: Physiological functions and multifaceted roles in neurodegenerative and psychiatric disorders» wurde vollständig begutachtet und ist ab dem 16. Dezember 2025 frei über Open Access in Genomic Psychiatry unter folgendem Link verfügbar: https://doi.org/10.61373/gp025i.0122.
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Journal
Genomic Psychiatry
Method of Research
Literature review
Subject of Research
People
Article Title
Tau protein: Physiological functions and multifaceted roles in neurodegenerative and psychiatric disorders
Article Publication Date
16-Dec-2025
COI Statement
The authors declare no competing interests.