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Adenosin als gemeinsamer metabolischer Pfad schneller antidepressiver Wirkung: das Kaffee-Paradoxon

Drs. Julio Licinio und Ma-Li Wong analysieren die wegweisende Nature-Studie von Professorin Min-Min Luo und Kollegen, die einen einheitlichen Mechanismus für Ketamin, EKT und Hypoxie offenbart, während sie die komplexe Rolle von Koffein in der Depressio

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The coffee paradox in adenosine-mediated antidepressant action. Depression (left) and coffee consumption (right) are both linked through adenosine signaling (center), creating a pharmacological paradox: chronic coffee drinking appears protective against depression through tonic adenosine receptor
modulation, while acute pre-treatment caffeine may attenuate the phasic adenosine surge required for rapid antidepressant responses to ketamine and electroconvulsive therapy.

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Credit: Julio Licinio

NEW YORK, New York, USA, 11. November 2025 -- Ein heute in Brain Medicine veröffentlichter Kommentar von Dr. Julio Licinio und Dr. Ma-Li Wong untersucht wegweisende Forschung, die das Verständnis schnell wirkender Antidepressiva neu gestaltet. Die Analyse synthetisiert bahnbrechende Erkenntnisse von Yue und Kollegen unter Leitung von Professorin Min-Min Luo in Nature letzte Woche (DOI: 10.1038/s41586-025-09755-9), die Adenosin-Signalübertragung als gemeinsamen metabolischen Nenner offenbaren, der Ketamin, Elektrokonvulsionstherapie und akute intermittierende Hypoxie verbindet.

Über zwei Jahrzehnte lang verblüfften Ketamins schnelle antidepressive Effekte die Forscher. Die elektrisch geladene Intervention der Elektrokonvulsionstherapie funktionierte, wenn nichts anderes half. Schlafentzug bot vorübergehende Vorteile. Was der Wissenschaft entging, war der mechanistische Faden, der diese verschiedenen Interventionen verband.

Ein metabolischer Mechanismus, kein Rezeptor-Blockade

Professorin Luo und Kollegen verwendeten genetisch kodierte Adenosin-Sensoren zur Überwachung von Echtzeit-Veränderungen in stimmungsregulierenden Schaltkreisen. Ketamin bei 10 mg/kg und Elektrokonvulsionstherapie produzierten beide substantielle Adenosin-Spitzen im medialen präfrontalen Kortex und Hippocampus, mit Spitzenamplituden von etwa 15% ΔF/F, die über 100-150 Sekunden anstiegen und 8-10 Minuten anhielten. Die regionale Spezifität erwies sich als aufschlussreich: Adenosin schnellte in affektiven Schaltkreisen in die Höhe, aber nicht in Belohnungsschaltkreisen wie dem Nucleus accumbens.

Der Upstream-Mechanismus repräsentiert genuines neuartiges Biologieverständnis. Anstatt Adenosin durch extrazelluläre ATP-Hydrolyse zu erzeugen, moduliert Ketamin direkt die mitochondriale Funktion, um intrazelluläres Adenosin zu erhöhen, das dann über äquilibrative Nukleosid-Transporter die Zellen verlässt. Dies geschieht ohne neuronale Hyperaktivität und widerlegt die Annahme, dass krampfähnliche Aktivität für schnelle antidepressive Wirkung notwendig ist.

„Die Arbeit geht über deskriptive Neurowissenschaft in ihrer unmittelbaren therapeutischen Translation hinaus", bemerken die Autoren des Kommentars. Das Forschungsteam synthetisierte 31 Ketamin-Derivate und identifizierte Deschloroketamin als Produzenten signifikanter antidepressiver Effekte bei 2 mg/kg im Vergleich zu 10 mg/kg für Ketamin, mit minimalen psychomimetischen Nebenwirkungen. Diese Dissoziation zwischen therapeutischen und dissoziativen Effekten legt nahe, dass die Ausrichtung auf Adenosin-Signalübertragung statt NMDA-Rezeptor-Blockade das therapeutische Fenster erweitert.

Drei Wege, ein Mechanismus

Das Adenosin-Framework erstreckt sich über Ketamin hinaus. Elektrokonvulsionstherapie produzierte Adenosin-Anstiege vergleichbarer Größenordnung, aber mit schnellerer Kinetik, konsistent mit intensivem aber kurzem neuronalem Feuern. Akute intermittierende Hypoxie, bestehend aus 5 Zyklen von 9% Sauerstoff für 5 Minuten durchsetzt mit normaler Luft, produzierte antidepressive Effekte, die vollständig von Adenosin-Signalübertragung abhängig waren, wenn sie täglich über 3 Tage verabreicht wurde.

Entscheidend ist, dass alle drei Interventionen die Aktivierung von A1- und A2A-Adenosin-Rezeptoren erforderten. Mäuse, denen diese Rezeptoren fehlten, verloren jegliche antidepressive Wirksamkeit von Ketamin, EKT und Hypoxie in mehreren Depressionsmodellen. Direkte Infusion von Adenosin in den medialen präfrontalen Kortex produzierte antidepressive Effekte, die 24 Stunden anhielten.

Die Kaffee-Frage

Vielleicht entsteht das klinisch relevanteste Rätsel um Koffein, die weltweit am häufigsten konsumierte psychoaktive Droge. Die mechanistische Warnung scheint eindeutig: Wenn Adenosin-Rezeptor-Aktivierung für therapeutische Wirksamkeit notwendig ist und Koffein diese Rezeptoren blockiert, könnte Kaffeekonsum die Behandlungsantwort abschwächen.

Dennoch erzählt die epidemiologische Literatur eine andere Geschichte. Mehrere Metaanalysen zeigen, dass chronischer Kaffeekonsum vor Depression schützt, mit Risikoreduktionen von 20-25%. Eine Metaanalyse fand relative Risiken von 0,757 für Kaffee und 0,721 für Koffein. Eine andere identifizierte optimale protektive Effekte bei etwa 400 ml täglich.

Die Lösung könnte darin liegen, tonische von phasischer Adenosin-Signalübertragung zu unterscheiden. Chronischer Koffeinkonsum verursacht eine bescheidene Hochregulation von A1-Rezeptoren (etwa 20%), aber entscheidend ist, dass diese Hochregulation die funktionelle Signalisierungskapazität bei Adenosin-Bindung nicht beeinträchtigt. Die Rezeptoren bleiben kompetent; es gibt einfach mehr von ihnen.

Darüber hinaus weisen Adenosin-Rezeptoren eine substantielle Ersatzrezeptor-Reserve auf: 70-90% für A2A-Rezeptoren und 10-64% für A1-Rezeptoren. Das bedeutet, dass 5-10% Rezeptorbesetzung 50% maximale Antwort produzieren kann. Ein Antagonist muss mehr als 95% der Rezeptoren besetzen, um Effekte zu blockieren, wenn Ersatzrezeptoren existieren.

Koffein hält etwa 50-65% Rezeptorbesetzung bei regelmäßigen Konsumenten aufrecht. Mit chronischem Konsum, der durch Hochregulation mehr Rezeptoren produziert, während partielle aber nicht vollständige Besetzung aufrechterhalten wird, könnte der Baseline-adenosinerge Tonus trotz Antagonisten-Präsenz tatsächlich verstärkt sein, konsistent mit epidemiologischem Schutz gegen Depression.

Akuter Koffeinkonsum vor der Behandlung präsentiert ein anderes Szenario. Wenn Ketamin oder EKT einen massiven Adenosin-Anstieg auslösen, muss dieser Anstieg die bestehende Koffein-Blockade überwinden. Mit 50-65% Rezeptorbesetzung und substantieller aber nicht unendlicher Rezeptorreserve kann das Adenosin-Signal abgeschwächt aber nicht eliminiert werden.

„Diese pharmakologische Analyse legt nuancierte klinische Ansätze nahe anstelle pauschaler Verbote", bemerken die Kommentar-Autoren. Regelmäßiger Kaffeekonsum vor Beginn der Ketamin- oder EKT-Behandlung scheint nicht kontraindiziert, mit epidemiologischen Daten, die möglichen Nutzen nahelegen. Allerdings wirft akuter Kaffee vor der Behandlung 6-12 Stunden vor Infusion oder EKT größere Bedenken auf, da Patienten von Koffein-Washout profitieren könnten, um maximale Rezeptorverfügbarkeit während des kritischen Adenosin-Anstiegs zu gewährleisten.

Von Serendipität zu Mechanismus

Die Psychiatrie hat lange vom Zufall statt vom Mechanismus abgehangen. Die Monoamin-Hypothese entstand aus zufälligen Entdeckungen mit Iproniazid und Imipramin. Atypische Antipsychotika entstanden aus chemischen Modifikationen, die weniger Nebenwirkungen suchten. Ketamins antidepressive Eigenschaften wurden bei Anästhesie-Studien entdeckt.

Professorin Luo und Kollegen liefern die Karte vor dem Territorium. Mit Adenosin als mechanistischem Ziel beinhaltet der Weg nach vorn medizinisch-chemische Optimierung Adenosin-verstärkender Verbindungen mit Priorisierung mitochondrialer metabolischer Modulatoren über NMDA-Antagonisten, allosterische Modulation von A1- und A2A-Rezeptoren zur Verstärkung endogener Signalübertragung, nicht-pharmakologische Interventionen wie akute intermittierende Hypoxie, die Adenosin-Biologie nutzen, Biomarker-Entwicklung für Patienten-Stratifikation und Kombinationsstrategien, die komplementäre Knoten in der Adenosin-Plastizitäts-Kaskade anvisieren.

Die Arbeit etabliert, dass schnelle antidepressive Wirkung keine pharmakologische Kuriosität ist, die auf ein dissoziatives Anästhetikum beschränkt ist. Sie repräsentiert ein reproduzierbares neurobiologisches Phänomen – Adenosin-getriebene Plastizität in stimmungsregulierenden Schaltkreisen –, das durch mehrere Routen ausgelöst werden kann. Dies konvertiert eine empirische Beobachtung in ein biologisches Prinzip, das rationale therapeutische Entwicklung leitet.

Was unbekannt bleibt

Mehrere Fragen verdienen Aufmerksamkeit. Die Mechanismen, die akute Adenosin-Anstiege mit anhaltender Plastizität verbinden, bleiben unvollständig definiert. Wie produziert ein 8-10 Minuten dauernder Adenosin-Anstieg antidepressive Effekte, die Tage bis Wochen anhalten? Die Nature-Studie zeigt, dass Ketamin-induzierte BDNF-Hochregulation A1- und A2A-Rezeptoren erfordert, was Adenosin mit etablierten Neuroplastizitäts-Wegen verbindet, aber die vollständige Signalkaskade wartet auf Definition.

Die Hippocampus-Geschichte ist unvollständig. Adenosin schnellte vergleichbar im Hippocampus und medialen präfrontalen Kortex nach Ketamin in die Höhe, dennoch produzierte optogenetische Auslösung von Adenosin oder direkte Infusion in den dorsalen Hippocampus keinen antidepressiven Effekt. Dies legt funktionelle Heterogenität nahe, möglicherweise entlang der dorsal-ventralen Achse.

Die Übertragung von Erkenntnissen auf behandlungsresistente Depression bei Menschen muss klinische Heterogenität adressieren. Nicht alle Patienten sprechen auf Ketamin an; nicht alle sprechen auf EKT an. Haben Non-Responder Defekte in Adenosin-Produktion, Rezeptor-Expression oder Downstream-Kopplung? Könnten Adenosin-Dynamiken, gemessen mit PET-Tracern oder peripheren Biomarkern, Patienten stratifizieren, die wahrscheinlich ansprechen?

Ein Framework für Fortschritt

Dieser Kommentar repräsentiert kritische Synthese mechanistischen Verständnisses bei schnell wirkenden Antidepressiva und bietet Forschern und Klinikern einen umfassenden Rahmen. Die Adenosin-Hypothese ist testbar, Werkzeuge sind verfügbar und therapeutische Implikationen sind unmittelbar. Für ein Feld, das Jahrzehnte im Wald empirischer Psychopharmakologie verbrachte, haben Professorin Luo und Kollegen die Luftperspektive geliefert.

Die Kaffee-Verbindung

Vielleicht liegt die faszinierendste Implikation dieser Arbeit in einer unerwarteten Verbindung: Die rigoroseste mechanistische Dissektion schneller antidepressiver Wirkung identifiziert Adenosin als kritischen Mediator, dennoch sind Adenosin-Rezeptoren das primäre Ziel von Koffein, der weltweit am weitesten verbreiteten psychoaktiven Substanz. Ist dies bloßer Zufall, oder offenbart es etwas Fundamentales darüber, warum Menschen über Kulturen und Jahrtausende zum Koffeinkonsum gravitiert sind? Der epidemiologische Schutz, den chronisches Kaffeetrinken gegen Depression verleiht, könnte eine unbeabsichtigte Form adenosinerger Modulation darstellen, die auf Populationsebene operiert. Dennoch könnte derselbe Mechanismus, der tonischen Nutzen bietet, mit phasischen therapeutischen Anstiegen während akuter Behandlung interferieren.

Das Kaffee-Paradoxon verlangt Auflösung durch sorgfältig entworfene klinische Studien. Zeigen regelmäßige Kaffeetrinker veränderte Reaktionen auf Ketamin oder Elektrokonvulsionstherapie? Verbessert Vor-Behandlungs-Koffein-Washout therapeutische Ergebnisse? Können wir Dosierungsstrategien entwickeln, die protektive Effekte chronischen Konsums bewahren, während akute Behandlungsreaktionen optimiert werden? Die Konvergenz der weltweit prävalentesten psychoaktiven Droge mit dem mechanistischen Dreh- und Angelpunkt unserer wirksamsten schnell wirkenden Antidepressiva ist unwahrscheinlich zufällig. Das Verständnis dieser Schnittstelle könnte sowohl die weitverbreitete Attraktivität von Koffein als auch die Optimierung Adenosin-zielgerichteter Therapeutika beleuchten. Die nächste Generation klinischer Studien sollte systematisch Koffeinkonsum-Muster als kritische Variable in der Behandlungsreaktion untersuchen und eine scheinbare pharmakologische Komplikation in eine therapeutische Gelegenheit transformieren.

Quellen

Der Kommentar in Brain Medicine mit dem Titel „Adenosin als gemeinsamer metabolischer Pfad schneller antidepressiver Wirkung: Das Kaffee-Paradoxon" ist frei verfügbar via Open Access am 11. November 2025 in Brain Medicine unter folgendem Link: https://doi.org/10.61373/bm025c.0134.

Die Nature-Studie von Yue und Kollegen unter Leitung von Professorin Min-Min Luo mit dem Titel „Adenosin-Signalübertragung treibt antidepressive Wirkungen von Ketamin und EKT an" ist verfügbar unter: https://doi.org/10.1038/s41586-025-09755-9.

Über Brain Medicine: Brain Medicine (ISSN: 2997-2639, online und 2997-2647, print) ist eine hochwertige medizinische Forschungszeitschrift, herausgegeben von Genomic Press, New York. Brain Medicine ist eine neue Heimat für den interdisziplinären Weg von Innovation in grundlegender Neurowissenschaft zu translationalen Initiativen in Gehirnmedizin. Der Umfang der Zeitschrift umfasst die zugrundeliegende Wissenschaft, Ursachen, Ergebnisse, Behandlungen und gesellschaftliche Auswirkungen von Gehirnerkrankungen über alle klinischen Disziplinen und deren Schnittstellen hinweg.

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