Wenn wir über Mikrobiota sprechen, denken wir meist an unseren Darm. Doch es gibt eine andere, weniger bekannte und ebenso lebenswichtige: die Mikrobiota der Wurzeln. In einem Artikel, der am 2. Oktober 2025 auf dem Titelblatt von Science erscheint, enthüllen Professor Niko Geldner und sein Team von der Universität Lausanne (Unil) die verborgenen Allianzen und Rivalitäten zwischen Bakterien und Wurzeln unter der Erde.
Wurzeln und Mikroben
Die Pflanzenmikrobiota vereint Gemeinschaften von bakteriellen und pilzlichen Mikroorganismen - als Partner, Verbündete und manchmal auch Feinde. Die Mikroben die mit der Wurzeln am engsten verbunden ist, werden kollektive als „rhizospherische“ Mikrobiota bezeichnet - vom griechischen rhizo- (Wurzel). Pflanzen rekkrutieren Bakterien gezielt aus dem Boden um ein spezialisiertes und beschützendes Mikrobiom aufzubauen. Das fragile Gleichgewicht der mikrobiellen Gemeinschaft beeinflusst Wachstum, Gesundheit und Widerstandskraft der Pflanze gegenüber Umweltstressen. Sind Pflanzen geschwächt, können manche Mikroben sogar ihre Rolle wechseln und zu Krankheitserregern werden.
Wurzelausscheidungen: der Schlüssel zur Rekrutierung
Wie wählen Pflanzen ihre mikrobiellen Partner aus? Durch die Abgabe eines komplexen Cocktails an Molekülen, „Wurzelausscheidungen“ oder “Wurzelexudate” genannt. Diese Exudate enthalten Zucker, Aminosäuren und andere organische Verbindungen. Zwar war bekannt, dass diese Substanzen für die bakterielle Besiedlung wichtig sind, doch man weiss sehr wenig, wie, wo und wann sie friegesetzt werden – vor allem in einem Massstab der für Mikroorganismen relevant ist. Dieses Rätsel zu lösen nahmen sich die Forscherinnen und Forscher der Unviersität Lausanne in enger Zusammenarbeit mit Dr. Feng Zhou (CEMPS, Shanghai) und deutschen Kollegen zur Aufgabe.
Wenn die Barriere bricht
Ähnlich wie das Darmepithel bei Tieren wirkt die Endodermis der Pflanzenwurzel als selektiver Filter. Es verhindert, dass energiereiche Verbindungen aus den Leitgeweben der Wurzel in den Boden entweichen. Doch während des Wachstums kann diese Barriere vorübergehend brechen: „Wenn zum Beispiel eine Seitenwurzel aus der Hauptwurzel herauswächst, bricht ein Teil der Barriere, damit die Seitenwurzel durchwachsen kann“, erklärt Niko Geldner, Ko-Seniorautor des Artikels. „Auch wenn die gebrochene Barriere bald wieder repariert wird, verursacht der Bruch einen kurzzeitigen Ausfluss. Bakterien sammeln sich genau an dieser Stelle und vermehren sich. Die Frage war: Was zieht sie an und erlaubt ihnen sich so stark vermehren?“
Die Hypothese der Forschenden: Eine Veränderung der endodermalen Barriere beeinflusst die mikrobielle Rekrutierung und die Zusammensetzung bakterieller Gemeinschaften. Die Herausforderung war, den zugrundeliegenden Mechanismus zu entschlüsseln. Zu diesem Zweck wurden Mutanten der Modellpflanze Arabidopsis thaliana (Ackerschmalwand) verwendet, denen die endodermale Barriere vollständig fehlt. „Unsere Beobachtungen bestätigten, dass Veränderungen an der Endodermis die bakterielle Besiedlung tiefgreifend beeinflussen“, sagt Niko Geldner. „Wir fragten uns daher, ob die Bakterien besonders auf eine bestimmte oder mehrere Substanzen reagieren, die dabei austreten.“ Mithilfe ihrer Arabidopsismutanten entdeckte das Team eine deutliche Anreicherung von Aminosäuren – insbesondere Glutamin – in den Exudaten.
Glutamin – ein bakterielles Leuchtfeuer
Glutamin spielt eine wichtige Rolle beim Transport von Stickstoff von den Wurzeln zu den Sprossen und war daher ein naheliegender Kandidat. An dieser Stelle kam die Expertise des Labors von Prof. Christoph Keel an der Abteilung für fundamentale Mikrobiologie in Lausanne ins Spiel. Seit mehreren Jahrzehnten untersucht sein Team ein ganz bestimmtes Bakterium: Pseudomonas protegens CHA0. Dieses wächst gut auf verschiedenen Pflanzen, auch an den Wurzeln der Ackerschmalwand, und kann sie vor Pilzkrankheiten schützen.
Um zu prüfen, ob dieses Bakterium von Glutamin angezogen wird, manipulierten die Forschenden es genetisch: „Wir erzeugten Bakterien, die ihre Fähigkeit, Glutamin zu ‚riechen‘, gezielt verloren hatten. Interessanterweise waren diese Bakterien nicht in der Lage, die Stellen zu finden, an denen Seitenwurzeln austraten“, berichtet Dr. Huei-Hsuan Tsai, Postdoktorandin in Geldners Gruppe und Ko-Erstautorin der Studie. Zudem konnten die Forschenden beobachten, dass die Bakterien Glutamin tatsächlich für ihr Wachstum nutzen, indem sie ein Fluoreszenz-Reportersystem entwickelten, das nur aktiviert wird, wenn Glutamin metabolisiert wird.
Diese Aminosäure wirkt somit als zentrales Signal, das es Bakterien ermöglicht, präzise Lecks an der Wurzeloberfläche zu finden und zu besiedeln. „Wir konnten zeigen, dass die Bakterien sich metabolisch an diese glutaminreiche Nische anpassen und sie als Energiequelle nutzen, was ihre Vermehrung noch weiter steigert“, fügt Huei-Hsuan Tsai hinzu.
Eine Herausforderung für die nachhaltige Landwirtschaft
Die Ergebnisse zeigen, dass lokal begrenzte Glutamin-Lecks die bakterielle Besiedlung prägen und illustrieren die fein abgestimmten Interaktionen zwischen Wurzeln und Mikroben. Das Team um Niko Geldner möchte nun weitere Verbindungen identifizieren mit der Wurzeln Bakterien anziehen, insbesondere solche, die unter Stressbedingungen (Trockenheit, Salzgehalt, Hitze) freigesetzt werden.
Doch lassen sich solche Entdeckungen auch in der Landwirtschaft nutzen – gerade in einer Zeit, in der der Einsatz von Dünger und Pestiziden reduziert werden soll? „Das ist der Traum vieler Forschender. Aber jeder Boden hat sein eigenes, einzigartiges Mikrobiom. Es ist daher schwer zu garantieren, dass ein bestimmter Bakterienstamm sich etabliert und eine Pflanze schützt“, warnt Niko Geldner. Laborexperimente mit vereinfachten mikrobiellen Gemeinschaften sind notwendig, um die grundlegenden Prinzipien der Wurzel-Bakterien-Interaktion zu entschlüsseln. „Eines ist sicher -“, schließt er ab, „ die Gesundheit der Pflanzen hängt von ihrer Mikrobiota ab. Ohne ein besseres Verständnis ihrer Wechselwirkungen mit den Wurzeln werden wir nie wirklich begreifen, was auf unseren Feldern geschieht.“
Journal
Science
Article Title
Localized glutamine leakage drives the spatial structure of root microbial colonization
Article Publication Date
2-Oct-2025