News Release

Elektronen im Gespräch belauscht

Messung des g-Faktors von lithiumhaltigem Zinn

Peer-Reviewed Publication

Max-Planck-Institut fur Kernphysik

Lithiumähnliche Zinn-Ionen

image: Schematische Darstellung der QED-Wechselwirkungen in lithiumähnlichen Zinn-Ionen. view more 

Credit: MPIK

Quantenelektrodynamik - ein Wettbewerbsfeld für Präzision

Quantenelektrodynamik (QED) ist die grundlegende Theorie, die alle elektromagnetischen Phänomene einschließlich des Lichts (Photonen) beschreibt. Zugleich ist sie die bestgetestete Theorie der Physik überhaupt. Auf verschiedene Weise wurde sie bis auf 0,1 zu einer Milliarde genau geprüft. Aber gerade die Stärke dieser Theorie treibt die Physiker an, sie noch strenger zu untersuchen und ihre möglichen Grenzen auszuloten. Jede signifikante Abweichung wäre ein Hinweis auf neue Physik.

Die QED versteht die elektromagnetische Wechselwirkung zwischen geladenen Teilchen als den Austausch „virtueller“ Photonen – so wie die Elektronen in einem Atom untereinander und mit dem Kern „reden“ – und mit sich selbst durch Emission und Reabsorption eines Photons: ein QED-Effekt, „Selbstenergie“ genannt. Ferner stellte sich heraus, dass das physikalische Vakuum nicht leer ist, sondern mit virtuellen Teilchen wie Elektron-Positron-Paaren gefüllt ist, die ständig „aus dem Nichts“ auftauchen, aber innerhalb der durch die Unschärferelation der Quantenphysik gesetzten Grenzen wieder verschwinden müssen. Auch wenn dies geisterhaft klingt, ist es genau die Erklärung der zugrundeliegenden Physik für Experimente der Atomphysik, die bereits in den 1940er Jahren durchgeführt wurden.

Ein standardmäßiger Zugang zu QED-Phänomenen ist der so genannte g-Faktor des Elektrons, welcher die Beziehung seiner mechanischen (Eigendrehimpuls: Spin) und magnetischen Eigenschaften beschreibt. Nach der Dirac-Theorie (relativistische Quantenmechanik) sollte der g-Faktor des freien Elektrons genau 2 betragen. Verschiedene QED-Wechselwirkungen verändert jedoch den g-Faktor und bewirken eine kleine aber genau messbare Abweichung vom Wert 2. QED-Effekte hängen in stark nichtlinearer Weise von äußeren Feldern ab. In schweren Elementen unterliegen aufgrund der hohen Kernladung Elektronen einem extrem hohen elektrischen Feld. Die einfachsten dieser Systeme sind wasserstoffähnliche hochgeladene Ionen, die sowohl theoretisch als auch experimentell mit großem Erfolg untersucht wurden.

In einer gemeinsamen experimentell-theoretischen Arbeit haben Forschende des Max-Planck-Instituts für Kernphysik in Heidelberg nun den g-Faktor des äußersten gebundenen Elektrons in lithiumähnlichem Zinn untersucht. Dieses System ähnelt dem von Wasserstoff, fügt aber die Wechselwirkung mit den beiden fest gebundenen Elektronen der inneren Atomhülle hinzu.

Theorie: ab-initio-QED-Berechnungen

Eine ab-initio-Berechnung berücksichtigt alle elektromagnetischen Wechselwirkungen zwischen den Bestandteilen – hier eines lithiumähnlichen Ions – auf einer fundamentalen Ebene;  bis zu einem gewissen Grad sind QED-Effekte eingeschlossen. Effekte der Elektronenstruktur, bei denen die Elektronen Photonen austauschen, werden in die Berechnungen einbezogen, ebenso wie QED-Abschirmungseffekte, bei denen das Elektron sowohl mit den anderen Elektronen als auch mit sich selbst oder mit dem Vakuum wechselwirkt. Die ab-initio-Vorhersage wurde weiter verbessert, indem der Zweischleifen-QED-Beitrag aus den jüngsten Messungen an wasserstoffähnlichem Zinn auf den Fall der lithiumähnlichen Elektronen übertragen wurde. Dies führt zu einer „experimentell verbesserten“ theoretischen Vorhersage von

gth = 1.980 354 797(12)

mit einer in Klammern angegebenen Unsicherheit. Verglichen mit dem wasserstoffähnlichen Fall ergibt dies insgesamt eine 25-fache Verbesserung.

Experiment: Abzählen von Spin-Flips

Die Messung des g-Faktors des gebundenen Elektrons wurde mittels der kryogenen Penning-Falle ALPHATRAP am MPIK durchgeführt. Das starke Magnetfeld im Inneren der Falle führt zu einer charakteristischen Bewegung des vom Feld eingeschlossenen Ions sowie zu einer Präzession des Spins des äußeren Elektrons wie ein winziger magnetischer Kreisel. Der g-Faktor lässt sich aus dem Verhältnis zwischen der Bewegungsfrequenz des Ions und der Präzessionsfrequenz extrahieren, wobei das Magnetfeld aus dieser Berechnung herausfällt. Die Ionenbewegung kann direkt aus kleinen induzierten elektrischen Signalen in den Elektroden der „Präzisionsfalle“ ermittelt werden. Um die Präzessionsfrequenz zu bestimmen, werden Mikrowellen in die Falle eingestrahlt, die einen „Spin-Flip“, d. h. eine Änderung der Ausrichtung des Spins, hervorrufen kann (aufgrund der Quantisierung gibt es nur zwei messbare Spin-Zustände „oben“ und „unten“). Die Rate der Spin-Flips erreicht ein Maximum, wenn die Mikrowelle mit der Präzessionsfrequenz resonant ist.

Ergebnisse und Ausblick

Der experimentelle Wert für den g-Faktor des lithiumähnlichen Zinn-Ions ist

gexp = 1.980 354 799 750(84)stat(54)sys(944)ext

mit den in Klammern angegeben statistischen, systematischen und externen Unsicherheiten. Letztere sind von der Unsicherheit der Ionenmasse dominiert, welche derzeit die experimentelle Genauigkeit einschränkt. Die gesamte Genauigkeit beträgt 0,5 zu einer Milliarde. Das experimentelle Ergebnis stimmt – innerhalb der Unsicherheit der Berechnung – gut mit der oben angegebenen theoretischen Vorhersage überein. Seitens des Experiments ist es möglich, die Präzision des Massenwertes um mehr als eine Größenordnung zu verbessern und folglich die Präzision des g-Faktors zu erhöhen, sofern dies durch Fortschritte in der Theorie motiviert wird.

Zukünftig werden Messungen an schwereren lithiumähnlichen Systemen wie 208Pb79+ und die erwarteten Fortschritte bei Zweischleifen-QED-Rechnungen noch bessere Tests im Bereich starker elektrischer Felder mittels hochgeladener Ionen ermöglichen. Die hier entwickelten modernen theoretischen Methoden für interelektronische QED-Effekte können auf g-Faktor-Berechnungen für komplexere Ionen (Bor- oder Kohlenstoff-ähnliche Ionen), nicht-paritätserhaltende Übergänge in neutralen Atomen und weitere Effekte angewendet werden.


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